Heute geht der Kurs hoch in den Nordosten, über die Ostsee, bis nach Riga in Lettland. Dieses Ziel liegt etwa 600 Seemeilen (nur Luftlinie) von unserem Heimathafen entfernt. Für unser Zeitbudget und unser kleines Segelboot also fast unerreichbar. Beschleunigen lässt sich die Anreise durch andere Verkehrsmittel, im kalten und dunklen Winter ist das ohnehin anzuraten.

Ein Rezept gibt es heute nicht. Dafür einen Einblick in die Lebensmittel des Baltikums, einen Tipp wo sie verkauft werden und wie ein kreativer Umgang mit diesen Zutaten aussehen kann. Leinen los, der Zentralmarkt von Riga wartet.


Über die Ostsee ins Baltikum bis nach Riga: Segel- und Fährhafen
Riga und das Baltikum ist mehr als eine Reise wert. Die Stadt liegt nicht direkt an der Rigaer Bucht, sondern am Fluss Düna (lettisch: Daugava). Von der Flussmündung sind es nur noch wenige Seemeilen bis zum zentralen Fährhafen. Hier machen die großen Fähren und Kreuzfahrtschiffe fest. Es gibt auch einen Sportboothafen für Segler. Von der Marina bis zur Altstadt sind es nur 20 Minuten zu Fuß. Ich bin der Meinung, alte Hafen-Städte sollten vom Wasser aus erobert werden.
Hier ist der Link zu der zentral gelegenen Stadt Marina Andrejosta, ganz in der Nähe des Fährhafens. Es gibt mittlerweile etliche Sportboot-Marinas in Lettland.
Riga-Wissen für Historiker und Seefahrer
Durch die Mitgliedschaft in der mittelalterlichen Hanse wurde Riga zu einer mächtigen und wohlhabenden Hafen- und Handelsstadt. Die Hanse war, ganz grob vereinfacht, eine Art mittelalterliche Nord-EU. Durch den Freihandel gelangten die Hansestädte zu großem Wohlstand. Die Kogge, ein mittelalterlicher Frachtsegler, wurde zum Symbol der Hanse.
Riga ist reich an Superlativen. Die historische Altstadt, das Schloss und der Rigaer Dom sind einzigartig. Auch die traditionellen Holzhäuser sind weltberühmt, außerdem ist Riga Jugendstilhauptstadt Europas. Das historische Zentrum wurde 1997 als „Meisterwerk des menschlichen Schaffens“ zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt. 2014 war Riga Europäische Kulturhauptstadt.

Unnützes Wissen zur Weihnachtszeit: Den Letten zufolge stand der erste Weihnachtsbaum in Riga. Auf dem Rathausplatz soll im Jahr 1510 erstmals eine Tanne mit Blumen und Spielzeug geschmückt worden sein. Allerdings streiten sie sich darüber mit den Esten aus Tallin.
Am interessantesten fand ich diesen Superlativ:
Die Zeppelinhallen des Zentral-Marktes: Oder der Bauch von Riga
Da es in meinem Blog um Essen und Genießen auf und am Wasser geht, war mein Hauptziel der Zentralmarkt von Riga. (lett.: Rīgas Centrāltirgus).
Dieser Markt galt schon in den 1930er Jahren als der größte und modernste Markt Europas. Auch heute, nach langer und leidvoller Geschichte, ist er mehr als eine Reise wert. Markthallen ziehen mich schon immer magisch an.

Da der Markt eine besondere Geschichte hat, gibt es schnell ein kleinen Rückblick. Schon die Konstruktion ist einmalig: Die Hallen wurden in den zwanziger Jahren aus den Dächern zweier alter Zeppelin-Hangars aus dem 1.Weltkrieg errichtet. Die Höhe der Dachkonstruktion ist beeindruckend, gerade wenn man bedenkt, dass die Hallen im Süden des Landes, nahe der litauischen Grenze standen.

Die Markthallen sind unterkellert, hier werden die Lebensmittel gekühlt, gelagert und erst bei Bedarf nach oben transportiert. 1930 feierte Riga die glanzvolle Eröffnung der Markthallen. Schon in der Blütezeit der Republik Lettland zog der Lebensmittelmarkt Touristen aus aller Welt an. Diese friedliche Epoche hielt leider nur kurz an.

1940 wurde Riga durch die Sowjetunion und die ungeliebten Russen besetzt. Ab 1941, während des 2. Weltkrieges, musste Riga dreieinhalb Jahre deutsche Besatzung erleiden. Die Hallen wurden durch die Nazis zu Kriegszwecken umfunktioniert, die Gebäude dienten fortan als kriegswichtige Reparaturstätten. Lebensmittel waren knapp, es gab sie nur auf Karte.
Was zu Rigas Geschichte leider auch gehört: Grauenhafte Verbrechen, vor allem an der jüdischen Bevölkerung, fanden zu dieser Zeit durch die Deutschen statt. Auch die Letten haben sich damals nicht mit Ruhm bekleckert. Für Interessierte gibt es bei Wikipedia mehr.

1944 wurde Riga durch die Sowjetarmee von den Nazis befreit, viele sagen auch, erneut besetzt. Infolgedessen wurden wiederum unzählige Menschen deportiert, umgebracht oder waren auf der Flucht.
In der Zeit der Lettischen SSR (Sozialistische Sowjetrepublik) wurde der Markt umbenannt (Centrālais Kolhozu tirgus). Die staatlichen Kolchosen lieferten die Produkte nach Plan. Oder auch nicht.

Seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit, Anfang der 90er Jahre, bietet der Markt sämtliche Produkte wieder im freien Handel an. Man ist stolz auf seine Tradition und setzt beim Warenangebot auf Produkte aus einheimischer Produktion.

Trotz Wirtschaftswachstum ist in Riga nicht alles gut. Die Stadt verliert an Einwohnern, Lettland insgesamt hat eine zu niedrige Geburtenrate. Viele Menschen ziehen in den Westen. Ältere, vom harten Leben gezeichnete Menschen bestimmen das Straßenbild, außerhalb des hübsch renovierten Altstadtkerns sieht es ärmlich aus. Mich erinnert das an Ost-Berlin kurz nach der Wende, Tristesse wie aus dem Museum. Vor allem im November. Dies war mein ganz subjektiver erster Eindruck in knapp 24 Stunden. Riga ist definitiv eine Reise wert.
Normalerweise hat Politik in meinem Blog nichts zu suchen, diesmal konnte ich das nicht weglassen. Die Geschichte, die lange Zeit hinter dem eisernen Vorhang, der Bevölkerungsmix, sowie Lage und Klima bestimmen das Warenangebot und die Küche. Das Baltikum war für mich ein weißer Fleck auf der Speisekarte.


Der Bauch von Riga ist quicklebendig
Es gibt insgesamt fünf Hallen, die ich der Reihe nach vorstellen möchte.
Die größte Halle beherbergt auf einer Flache von 5000 m² und 140 m Länge, Fleisch und Wurstwaren. Die Auslagen sind übervoll. Schwein, Geflügel, Wurst und Räucherwaren sind am begehrtesten. Danach kommen Rind und Kalb, zunehmend auch Lamm. In Riga kommen alle Teile, also echtes „Nose to tail“ auf den Markt. Innereien, Köpfe, Keulen, Knochen. Diese Halle ist nichts für Veganer.
Die vier kleineren Hallen mit jeweils 70 m Länge unterteilen sich in:
- Fisch
- Gemüse
- Milch
- Gastronomie (wird gerade renoviert)
Unser Rundgang führte uns von der Fleischhalle über den kalten Außenbereich. Zur Zeit werden hauptsächlich Beeren (Sanddorn, Moosbeeren, Vogelbeeren),Wurzeln, frische Kräuter und Heilkräuter, Säfte, Öle und Obst aus der Region angeboten. Das Angebot ist nicht nur regional, sondern auch saisonal. Im November gibt es frische Äpfel, Quitten und Kürbisse in allen Größen und Farben.
In der Fischhalle stapeln sich Berge von Kaviar, Räucherfisch, Hering, Lachs, Plattfische, aber auch viel Lebendfisch: Störe, Karpfen und die geschützten Lebend-Fossilien, die Neunaugen. Die Einfuhr nach Deutschland ist streng verboten.

In der Käse- und Milchhalle zieren Käsespezialitäten wie lettischer Mozzarella, sowie Hanfbutter, Joghurt, Kefir, Quark die Auslagen.

In der Gemüsehalle habe ich über Berge von Sauerkraut und fermentiertem Gemüse gestaunt. Nahezu alles wird konserviert, eingelegt und haltbar gemacht. Kohl, Quitten, Zwiebeln, Bete, Gewürzgurken, Knoblauch. Sehr spannend, denn diese uralten Methoden der Vorratshaltung sind traditionell auch in der Seefahrt wichtig. Skorbut war nicht nur auf Schiffen bekannt, sondern auch hier, in den langen dunklen Wintern.

Dazu gibt es das berühmte lettische Roggenbrot. Mit seiner dunklen Kruste schmeckt es einfach unwiderstehlich.
Die Preise scheinen niedrig, sind für einen Letten hoch. Das Durchschnittseinkommen liegt aktuell bei etwas mehr als 700 € (Zum Vergleich: Deutschland ca. 3100€). Was ein Rentner im Portemonnaie hat, möchte man sich lieber nicht ausrechnen.

Die Markthallen haben ganzjährig, sieben Tage die Woche, geöffnet. Nur am Johannistag, am 24. Juni sind sie geschlossen. Ab 2014 ist der Euro Zahlungsmittel.
Wer einmal reinschnuppern möchte, hier ist ein toller Film von Arte auf Youtube.
Was zaubert man aus Baltischen Spezialitäten? Überraschendes, hier geht es weiter:
Immer wenn ich auf Märkten im Ausland bin, ärgert es mich, dass ich mangels Koch-Gelegenheiten nicht einkaufen und gleich selbst loskochen kann. Auch fehlten mir diesmal die Ideen, was aus den recht rustikalen Zutaten entstehen könnte.

Zum Glück gab es Aufklärung durch Artūrs Trinkuns, einer der drei jungen Chefs des auszeichneten Restaurants „3 Pavaru“ (3 Chefs).
Als Küchenchef ist er verantwortlich für die Auswahl der Produkte, er arbeitet mit den Erzeugern und stellt das Menü nach den Jahreszeiten zusammen. Alle Saisonalen Produkte, die ich auf dem Markt gesehen hatte, fanden sich später auf den Tellern wieder. In einer kreativen und unerwarteten Zusammenstellung. Sogar der Trockeneis Effekt beim Dessert hat gepasst, weil es draussen so kalt war. Normalerweise bin ich kein Freund von diesen Show-Effekten.
Ich fand das sehr kreativ und konsequent regional. In Hamburg habe ich das in dieser Lässigkeit noch nicht gesehen. Gekocht wird in einer offenen Küche. Das Auge isst auch mit.

Schon der Gruß aus der Küche war ein kleines Kunstwerk. Auf ein Stück Pergamentpapier als Platzteller wurde mit Beeren, Pürees und Getreide „gezeichnet“. Die Speisekarte, die unter dem Papier lag, las sich vielsprechend.
- Lettischer Mozzarella mit Bete Emulsion, eingelegten Möhren und Tomate
- Langsam gegarter Schweinebauch, gegrille Spanferkelbäckchen, Petersilien – Sellerie Püree, Gersten-Risotto mit Hanfbutter und Quitten Zabaione.
- Pastinaken und Birnen Dessert mit Quittenschnee (mit Trockeneis, das passt aber ins eisklate Riga und zur Saison)
Ich lasse mal die Bilder sprechen. Wer vermisst da noch einen Sushi- oder Burgerladen?


Fazit: Riga und das Baltikum: mehr als eine Reise wert
Wem die Anreise mit dem Segelboot zu lange dauert, der kann bequem fliegen. Ein guter zeitlicher Kompromiss für Segler und Ostsee Fans ist – auch zu dieser Jahreszeit – eine Mini-Baltic Cruise.
Wenn man schon mal in der Ecke ist, sollte man sich auch Tallinn (Estland), Helsinki oder Stockholm nicht entgehen lassen. Die Ziele lassen sich nach Lust und Laune mit einem Fährkreuzfahrtschiff kombinieren.

Jetzt, im dunklen November, bei gefühlt endloser Nacht, war absolute Nebensaison, was auch einen speziellen Reiz hat. Im Frühling und Frühsommer, wenn es fast nicht mehr dunkel wird, muss es traumhaft sein, gerade wenn man auf dem Wasser anreist.
Die Reise wurde von der Tallink Silja Line gesponsert. Vielen Dank für die unglaublichen Entdeckungen, die ich hier machen durfte.
PS: Wie es mir an den anderen Zielen und auf dem großen Fähr- & Kreuzfahrtschiff erging, lest ihr bald. Es bleibt spannend im Norden, auch kulinarisch. Versprochen und Ahoi.

Tolle Bilder, toller Bericht. Danke.
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Ich war auch schon in dieser Markthalle. Sehr groß! Und draußen geht es noch weiter!
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Ich weiß, steht doch im Artikel ;-), allerdings war im November nicht so viel draußen los. War einfach schon sehr kalt. LG Cornelia
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Schöne, wirklich interessante Einblicke und wieder so tolle Fotos, liebe Cornelia. Die Bezeichnung „Der Bauch von Riga“ passt doch prima.
Liebe Grüße und eine schöne Vorweihnachtszeit!
Martina
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Liebe Martina, haha was soll das denn heißen? 😉 hör mir mit dem Bauch auf… Spaß beiseite : hast du lnteresse an einem Blogger Seminar am 25.03 in Hamburg? Bei Blogger@work ich habe mich angemeldet, ist sehr nett und nicht so teuer…ich glaube es gibt noch Plätze, musst mal googlen, die Veranstaltung findet bei mindspace statt. Andrea von Kohlori war letztes Jahr auch dabei…
LG Cornelia
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Bin 2014 nach Riga gesegelt, wegen des Marktes…. der ist soo einmalig in der nördlichen Hemisphäre !!!
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Ach das ist ja spannend, wie sind die Häfen im Baltikum? Ich würde da auch gerne mal hinsegeln, aber da brauchen wir mehr Zeit und ein anderes Boot. LG Cornelia
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Hat schöne Erinnerungen an meinen Aufenthalt in Riga während des Tall Ship Race 2003 wieder hervorgeholt 😊
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Liebe Annette, das war 2003 bestimmt noch ziemlich der wilde Osten. Ich würde so gerne mal im Juni dort oben, wenn es nicht mehr dunkel wird. LG Cornelia
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Ein sehr schöner Bericht und danke für die Information über die Sportboothäfen.
Gruß
Heinrich
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Hi. Cornelia. Das ist ein hochspannender Bericht über Riga, mit zusätzlichem spannenden Geschichtsunterricht.Und mal wieder die sehr stimmungsvollen Fotos dazu,- alles zu lesen und zu sehen ist für mich ein Hochgenuss gewesen am heutigen trüben Sonntag. Danke Dir dafür,- you made my sunday great. Ich staune immer wieder. LG Johannes
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Oh, danke lieber Johannes. Allerdings war der Viktualienmarkt auch nicht schlecht am Wochenende. Nur mit Riga nicht zu vergleichen. Demnächst kommt noch ein Bericht über den Markt in Helsinki. Das war auch toll, vor allem die Gegensätzlichkeit.
Liebe Grüße Cornelia
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Da warte ich mit Spannung drauf, bin fasziniert von den Berichten. LG. Johannes
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Was für ein genialer Bericht! Vielen Dank dafür!
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War es auch, aber Tallin, Helsinki und die Mini Kreuzfahrt war auch sehr beeindruckend. Leider habe ich nocj nicht die Zeit gehabt, den Beitrag zu schreiben. LG Cornelia
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Wir freuen uns schon jetzt darauf, wenn Du Zeit für den Bericht findest 🙂
LG
AnDi
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Danke für den super Bericht!! Da würde ich auch gerne mal zum shoppen gehn😄😄
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Ja, das lohnt sich wirklich. Auch in Kombination mit Tallinn und Helsinki. Das Baltikum ist sehr spannend…LG Cornelia
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Das ist ein wirklich toller Bericht. Wir sind vor gut einer Woche von Laboe aus nach Klaipeda gesegelt. Da wir es zeitlich nicht schaffen, bis Riga und Tallin weiterzusegeln, machen wir die Runde jetzt mit einem Mietwagen. Nach dem Lesen stand fest: Die Markthallen müssen unbedingt sein! Kühltasche ist auch dabei!!! LG, Waltrud
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Hallo Waltrud, da beneide ich euch. Jetzt muss Riga toll sein, weil es fast nicht mehr dunkel wird. Wir waren im November dort, das war schon sehr grau. Ihr werdet von den eingelegten Pickles, Gurken und Kraut sehr begeistert sein. Und natürlich der Kaviar. Sicher gibt es auch viel frisches Gemüse. Im Herbst war das so wie auf den Fotos. 😉
Viel Spaß, liebe Grüße Cornelia
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